MohnblütenVesna Ivkovic

X-Men 3

Die "Göttin und ihr Heros" als Mutanten der Zukunft?

 

„Hell hath no fury like a woman scorned“
(aus dem Film, zitiert nach William Congreve, "The Mourning Bride")

Eine schöne, stets in Rot und Purpur – die Farben des Blutes, des Lebens und der (spirituellen) Macht – gekleidete Frau, deren besondere Fähigkeiten an göttliche Allmacht denken lassen und die von der Kamera immer wieder von unten und/oder auf Anhöhen stehend (oder gar schwebend) ins Visier genommen wird: das sind Bilder von weiblicher Macht, die an mythische Gottheiten erinnern.

Parallelen zu Figuren wie Kali, der mörderischen indischen Göttin, oder Lilith, der „wilden Frau“ der hebräischen Mythologie, die aus Zorn über die ihr zugedachte untergeordnete Position Adam verließ und seitdem als Rebellin, Hexe, Kindsmörderin etc. ihr (Un)Wesen treibt in den Vorstellungen von der „gefährlichen Frau“, finden sich auch in der Beschreibung, die Professor Xavier von Jean Grey bzw. deren dunklem Persönlichkeitsanteil „Dark Phoenix“ gibt: „A purely instinctual creature, all desire and joy and rage".

 

Die Entmachtung der Göttin

Diese „gefährliche Frau“ zu kontrollieren ist erklärtes Ziel des Friedensliebe und ausgleichende Zivilisiertheit verkörpernden Professors (der damit das Waage-Prinzip repräsentiert) – zu diesem Zweck hatte er ihr bereits in jungen Jahren den Zugang zu ihrem eigenen Potential versperrt und sie damit sich selbst entfremdet.

Das lässt natürlich an die Geschichte patriarchaler Ordnungssysteme denken, die über die Jahrtausende allerlei Strukturen entwickelt haben, mittels derer weiblich codierte Erfahrung und insbesondere weibliche Macht untergraben, verhindert, unsichtbar gemacht und verleugnet wurde – bis hin zu nahezu vollständiger Entwertung und Entfremdung.

Xaviers Gegenspieler Magneto, dessen Interesse einer Welt gilt, in der schlicht das Recht des Stärkeren gilt, und der damit zu Xaviers Waage-Energie den kampflustigen Widder-Gegenpol gibt, erklärt an einer Stelle, dass er nie verstanden habe, warum der Professor diese Göttin zu einer Sterblichen gemacht hat. Schon hier wird deutlich, dass das Widder-Prinzip offenbar weniger Schwierigkeiten mit der ungebändigten Macht der „Göttin“ hat, und so ist es auch die Mars-Figur der Geschichte, der kämpferische, mit raubtierartigen Attributen ausgestattete Wolverine/Logan, der in Verbindung tritt mit der Doppelnatur der „gefährlichen Frau“.

 

Der sich selbst heilende, furchtlose Mann

Selbst nicht wirklich zuhause in der zivilisierten Welt des Professors, ist Logan aufgrund seiner Regenerationskraft der Einzige, der die zerstörerische Gewalt, die von „Phoenix“ ausgeht nicht fürchtet. Und er liebt nicht nur die vertraute, freundliche Seite Jeans, er versucht sie auch zu verteidigen gegen den kontrollierenden Zugriff der disziplinierenden Zivilisation, denn er hat instinktives Verständnis und tiefes Mitgefühl für die gefährliche Bestie in ihr, schließlich ist auch in ihm der Anteil animalischer Instinktnatur wach und lebendig, und er weiß: „when you cage the beast, the beast gets angry“.

Als Mann, der sich selbst heilen kann und der daher nicht angewiesen ist auf die Verfügbarkeit der regenerierenden weiblichen Energie – die zu diesem Zweck offenbar kontrolliert und domestiziert werden muss (auch Jeans frühere Aufgabe im X-Men-Universum war eine heilende)! – kann er es wagen, furchtlos ihrem Zorn ebenso wie ihrem Begehren zu begegnen.

 

Bedrohliches Begehren

Tatsächlich wird insbesondere die Sexualität – neben dem Zorn über die Unterdrückung – als eine Quelle der Gefahr deutlich: Jeans ehemaliger Liebhaber Scott ist tot nachdem wir gesehen haben, wie sie ihn in einen verzehrenden Kuss zieht. Aufgrund der Abblende ließe sich mehr als nur ein Kuss vermuten – sofern der arme Junge nicht schon am Kuss der Göttin stirbt.

Auch als Logan im Begriff ist, Sex mit Jean zu haben (und sie ihm herausfordernd ihre Fingernägel ins Fleisch gräbt) spürt er offenbar Gefahr, spürt vermutlich die Macht und Gewalt ihres Verlangens und spricht davon, dass sie nicht sie selbst sei. In diesem Moment wird ihm klar, dass sie ihren früheren Liebhaber getötet hat.

Und Xavier erklärt Jean/Phoenix kurz bevor sie ihn vor Zorn über seinen Kontrollanspruch über sie, buchstäblich „in der Luft zerreißt“, sie habe den Mann, den sie liebte getötet, weil sie ihre Kräfte nicht kontrollieren könne.

 

Der geopferte heilige König

Diese Darstellung bedrohlicher weiblicher Sexualität erinnert deutlich an all die Vorstellungen von der verschlingenden, übermächtigen Frau, der „vagina dentata“ und dergleichen Erkenntnisse Freudscher Psychoanalyse.

Sie erinnert aber auch an ein in vielen Mythen wiederkehrendes Motiv: die „heilige Hochzeit“ zwischen der „Großen Göttin“ und ihrem „Priesterkönig“, ein Opfer-Ritual der Frühlingszeit, das der Fruchtbarkeit ebenso diente wie der Erneuerung der Verbindung zwischen Mensch und Muttergöttin. Und das den „Priesterkönig“ das Leben kostete.

Und auch das Bild der Göttin Kali, die im Kampf mordend und zerstörend in einen Blutrausch sank, dem erst das Einschreiten Shivas, der sich ihr vor die Füße warf, Einhalt gebieten konnte, lässt sich hier assoziieren.

 

Tödliche Annäherung

Wie Shiva stemmt sich hier am Ende des Films Logan der Zerstörungswut des weiblichen Zorns entgegen:
Jean/Phoenix schaut dem letzten Kampf solange untätig zu, solange sie nicht selbst angegriffen wird, erst dann entfesselt sie ihre gewaltigen Kräfte. Wie eine zornige, feurige Göttin steht sie schließlich auf einem Berg der Zerstörung, als Logan sich ihr nähert, wobei er jeden Schritt mit tödlichen Wunden bezahlt – die ihn jedoch seiner Regenerationskraft wegen nicht aufhalten können. Auch seiner schützenden Kleidung wird er dabei beraubt (allerdings wirken sich Jeans Kräfte – wohl wegen der Jugendfreigabe des Films – auf seine Hose weniger zerstörerisch aus als auf alles andere rundum...), was sich verstehen lässt als vollständige Preisgabe des eigenen Ego. Und tatsächlich versichert Logan Jean schließlich, dass er für sie sterben würde – ganz im Sinne der Opferung des heiligen Königs.

Dass es dann aber doch Jean/Phoenix ist, die stirbt, und zwar von seiner Hand, macht nur Sinn vor dem Hintergrund einer zeitgenössischen Weltsicht, die keinen Raum bietet für die Legitimität mörderischen Zorns und nur mit Moral und Furcht auf die Wildnis menschlicher Instinkte zu reagieren weiß: Jean/Phoenix – die Göttin – kann ihren Platz in der Welt (noch) nicht einnehmen, weil sie zu sehr gefürchtet wird.

Dennoch bleiben dies faszinierende Bilder für die gefährliche und mühsame Annäherung des sich selbst heilenden und mit seiner eigenen wild-aggressiven Natur in Einklang stehenden Mannes an die entfesselte Macht weiblichen Zorns über die jahrtausendealte Unterdrückung ihrer Kräfte und die daraus erwachsene Entfremdung vom eigenen Wesen.

Eine andere mögliche Lesart für Jeans/Phoenix’ Tod wäre im Übrigen folgende: Da der Zorn ihrer unterdrückten Seite es ihr unmöglich machte, sich vom Mann lieben zu lassen ohne ihn dabei zu töten (oder zumindest zu verwunden), kann nicht die Liebe, sondern nur der Tod sie von ihrem Zorn erlösen.

 

Schwierige Liebe zu dritt: Venus, Mars – und Lilith

Die Liebesgeschichte zwischen Jean und Logan findet demnach nicht allein zwischen Venus und Mars statt, sondern bezieht Lilith, hier in ihrer zornigsten Gestalt mit ein.

Zunächst findet sich in Jean eine eher kühle, sehr geschäftsmäßig wirkende, kompetente Steinbock-Venus – verantwortungsbewusst, etwas unnahbar (ganz deutlich bei ihrer ersten Begegnung mit Logan, im ersten Teil der Saga, als sie seine sexuellen Anspielungen ignoriert und einfach nur ihre Arbeit macht). Hier im dritten Teil ist von dieser Venus nicht mehr viel zu sehen, denn sie ist in Widerstreit geraten mit einer über ihre Unterdrückung zornigen Widder-Lilith, die verkörpert wird von der Phoenix-Seite. Lilith steht zudem noch Pluto zur Seite, der zwar einerseits dafür sorgt, dass sie lange unbewusst und unter Kontrolle bleibt, ihr andererseits aber auch ungeheure Macht verleiht, als sie wieder ins Bewusstsein dringt.

Logan zeigt sich als Krebs-Mars, ein Mann mit großen Regenerationskräften, sehr mitfühlend, sehr fürsorglich und mit starkem Beschützerinstinkt (was wir auch in seinem Verhalten gegenüber Scott, Xavier und Rogue sehen).

Wir haben also ein T-Quadrat zwischen Steinbock-Venus, Widder-Lilith und Krebs-Mars. Die „offene“ Seite, die unbesetzte Waage-Position ist das Ziel auf das der Film hinsteuert: Frieden (wenn auch im Tod, also an Plutos Seite) für die zornige Widder-Lilith und damit Frieden, Harmonie und fairer Ausgleich für alle.

 

Göttliche Macht - Plutos zwiespältiges Geschenk

Da es Logan ist, der dem Lilith-Anteil den Tod (Pluto) bringt – und auch weil er selbst mit der umfassenden Macht der Transformation in Verbindung steht, aus der er seine Regenerationskraft bezieht – finden wir Pluto im Zeichen Fische im Trigon zu Mars.
Es handelt sich bei diesem Pluto - den ungeheuren Kräften Jeans/Phoenix' - außerdem auch um eine „übersinnliche“, über das Irdische hinausgehende, magische oder eben göttliche Macht, die zudem allumfassend ist, was ebenfalls auf Fische hindeutet. Das bedeutet für die Beziehung zwischen Lilith und Pluto, dass sich die Konjunktion an der Zeichengrenze zwischen Fische und Widder befindet. Entsprechend verlangt Pluto Lilith völlige Hingabe ab und bringt ihr über den Tod eine letzte Verbindung zum Transzendenten.

 

© Copyright 2006 Vesna Ivković

 



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